Vorwort Referenz Impressum

Cyberfeminisim and futures from within

Malin Kuht und Nora Sternfeld


Im Rahmen des Hybrid Work Space der documenta X formulierte das Old Boys Network ein Manifest mit 100 Antithesen, was Cyberfeminismus nicht sei. Wenn wir das Papier des kollektiven, künstlerischen Projekts heute lesen, erscheint vieles aktuell, manches klarer und mutiger als heute, einiges naiv, manches überholt und manches unerreichbarer denn je. Ausgehend von dieser konkreten Geschichte haben wir in einem Seminar nach kollektiven, feministischen Handlungsformen und technofeministischen Positionen im digital/analogen Raum der Gegenwart gefragt.

1. Cyberfeminismus hat (k)eine Geschichte?

Zunächst ging es um eine Auseinandersetzung mit der konkreten Geschichte des Cyberfeminismus. Allerdings hatte dieser nie nur eine Geschichte. Aus der Monoperspektivität des Wissens auszubrechen und sich der Historisierung zu entziehen, war ein wesentlicher Teil der ebenso kollektiven wie widersprüchlichen cyberfeministischen Praxis und Theoriebildung.
Die Frage wie sich eine solche mehrstimmige künstlerisch-aktivistische Ausdrucks- und Handlungsweise archivieren ließe ist ebenso herausfordernd wie wichtig. Autor*innenschaften galt es zu unterlaufen, und trotzdem auf sie zu bestehen – denn die Marginalisierung nicht männlicher Autor*innenschaften war ja gerade tief in die Praktiken der Avantgarde eingeschrieben.
Wer sich also heute historisch mit Cyberfeminismus beschäftigen will, steht mitten in einem komplizierten Unterfangen der Historisierung, das noch nicht einmal rudimentär stattgefunden hat. Die Geschichte des Cyberfeminismus lässt sich nicht in eine Box stecken, sie lässt sich nicht einfach einfangen und archivieren. Wir finden, sie muss doch erzählt, aufgearbeitet und aktualisiert werden. Denn Geschichte des Internets ist nicht nur eine Geschichte über Hard-oder Software Entwicklung, sondern auch eine Geschichte der Nutzung, eine Geschichte von Machtverhältnissen, Ausschlüssen und Aneignungsstrategien. In unserem Seminar lernten wir viel über all diese Fragen von Cornelia Sollfrank, die sowohl in der Geschichte des Old Boys Network als auch zur Frage seiner Historisierung wesentliche Beiträge geleistet hat.

2. Technofeminismus hat (k)eine Zukunft?

Wir lasen historische und aktuelle Texte, die Schnittstellen zwischen feministischen und technologischen Diskursen herstellen. Themen in diesem Zusammenhang waren Fragen nach Plattformen (online und offline), die den Code des Patriarchats hacken, feministische Ansätze des Copyleft und freier Open Source Software sowie kollektive, digitale, künstlerische Praktiken. Dabei interessierte uns, wie Technologien zum selbstverständlichen Teil eines Handelns wurden, werden und werden könnten, das sich weder von ihnen regieren lassen, noch vor ihnen fürchten will, das die sexistischen und rassistischen Vorannahmen der Algorithmen untersucht und sich ihnen ebenso entgegenstellt, wie der zunehmenden Privatisierung des Digitalen. Demgegenüber beschäftigten wir uns mit kollektiven Handlungsformen des Voneinander-Lernens, der Vergesellschaftung, der Verfügbarmachung und Veröffentlichung. Cornelia Sollfrank versteht die Praxis dieser neuen Positionen eines Technofeminismus „als Einladung, an ihre sozialen und ästhetischen Interventionen anzuknüpfen, dazuzukommen, weiterzumachen, nicht aufzugeben.“

3. (K)ein Text gehört uns

Ausgehend von gemeinsam Lektüren und Diskussionen, von Gesprächen und den Versuchen die Geschichte zu verstehen, bewegten wir uns im Seminars langsam von Prozessen gemeinsamen Lesens zu Praktiken des kollektiven Schreibens. In Prozessen kollaborativer Aneignung begegneten wir uns schreibend neu und befragten mithilfe von nicht-linearen Schreibversuchen die Vermarktbarkeit von Individualitäten. Wir arbeiteten in gemeinsamen etherpads, in offenen Dokumenten online. Die Notwendigkeit das Kollektive und das Digitale fast durchgehend zu verknüpfen war durch die Covid-19 Pandemie viel selbstverständlicher geworden, als es uns lieb war. Wir verstanden die experimentelle Mediennutzung dabei als Chance, als Möglichkeit und als Traum vom Verlust der kommodifizierten Autor*innenschaft und sicherlich nicht als Lösung (wie ein unreflektierter tech-solutionism) es uns oft und gerne erzählen will. Wir machten es also anders und machten doch auch ein bisschen was wir immer machten, denn wir schreiben, auch wenn wir alleine schreiben, nicht alleine. Den was wir wissen, wissen wir nur weil wir voneinander lernen, und es gehört somit allen auch wenn wir das vor lauter Konkurrenz- und Profilierungsdruck in unseren prekarisierenden Feldern fast vergessen haben. Und wir schrieben mit Maschinen – was wir ja auch immer machen, aber diesmal nahmen wir deren Autor*innenschaft ernst. Denn wenn wir sie nicht zu dominieren vorgeben, dachten wir uns, dann finden wir vielleicht Mittel, um uns ihnen nicht ganz so zu unterwerfen. Auch das haben wir aus der Lektüre gelernt. Denn Hypertext als nicht-narratives Mittel der Erzählung hat eine feministische Tradition: ‘the question is not one of dominance and control or of submission and surrender to machines; instead it is one of exploring alliances, affinities, and coevolutionary possibilities [...] between women and technology’ Was dabei entstand, sehen Sie auf dieser Website: Versuchsanordnungen kollektiver Textproduktion, Gedankenspiele, Reflexionen und Zukunftsperspektiven.

Wir danken allen AutorInnen, deren Namen im Kollektiv nicht untergehen sollen und die hier also den Abschluss unseres Textes bilden:

Isabel Dotzauer, Qiao Li, Anna-Lena Knebel, Anna von Berlepsch, Giuliana Brede, A.J., Regine Rosenboom, Stella Martins, Tristan Marie Biallas, Tabea Brinkmann, Yeonjung Lee, Ysbell Schöps, Flora Lou Matilde Saß, Jan Reuter, Jonas Töpfer, Maximilian Muselmann, Jiaqi Hou, Imina Geilmann, Merve Sahingöz, Lingyu Jin, Mira Rosa Vogt, Georgina Mowwe, Susanne Tesche , Rebecca Vojacek, Hannah Röhlsberger, Isabell Rutz, Jessica Köhler, Lara Rohde, Phillip Urban, Paula Berger, Matea Cubelic, Amrei Treis, Silke Starzer, Shirin Graf, Melina Becker, Constanze Venjakob, Alexandra Keller

Außerdem danken wir Gabriele Franziska Götz und Milena Albiez sowie dem Gestaltungsteam: Georgina, Imina, Jiaqi, Lingyu, Qiao, Silke, Stella, Valeria und Yeonjung dafür, dass sie mit dieser Website unmissverständlich klar machen, dass Publikationspolitiken auch Gestaltungsfragen sind – Zukunftsgestaltungsfragen. Unser herzlicher Dank gilt auch Goda Klumbyte für den Titel des Seminars, das wir ursprünglich gemeinsam planten und für ihren so anregenden, lehrreichen und kritische-affirmativen Vortrag, den sie uns schenkte.

Kollektiver Arbeitsprozess

1) Leonardo, MIT’s arts journal, 1998 zitiert nach Evans, Claire (2014) in Deep Lab, S. 64 siehe: https://studioforcreativeinquiry.org/project/deep-lab-2